Erektionsstörung: Bezeichnungen und Definition
Die erektile Dysfunktion kann definiert werden als «die Unfähigkeit, eine Erektion zu bekommen oder aufrechtzuerhalten, die zur sexuellen Befriedigung ausreicht». Der früher am häufigsten gebrauchte Begriff war «Impotenz». In sexueller Hinsicht bedeutete dies die Unfähigkeit eines Mannes, eine Erektion oder einen Orgasmus zu bekommen. Wörtlich bedeutet der Begriff «Machtlosigkeit», und gemeint ist die Unfähigkeit, sowohl sexuell als auch allgemein als Mann zu «funktionieren». Natürlich ist das ein ernstes Problem, wenn Sie ein Mann sind, und es verwundert nicht, dass Männer depressiv werden, wenn sie daran erkranken. Dieser eher pejorativen Implikationen wegen gilt inzwischen als allgemein akzeptiert, dass der Begriff «erektile Dysfunktion» (ED) vorzuziehen ist.
Ursachen und Erkrankungen in Verbindung mit erektiler Dysfunktion
Tabelle 1: Erkrankungen in Verbindung mit erektiler Dysfunktion
Einige dieser Erkrankungen werden im Folgenden kurz beschrieben:
Diabetes mellitus
Die Gesamtprävalenz der erektilen Dysfunktion bei Männern mit Diabetes beträgt etwa 30 % und nimmt mit dem Alter weiter zu, sodass im Alter von über 60 Jahren u. U. mehr als 60 % der Diabetiker betroffen sind. Tabelle 2 zeigt wichtige kardiovaskuläre Risikofaktoren in Verbindung mit erektiler Dysfunktion.
Beim (insulinabhängigen) Typ-1-Diabetes ist die erektile Dysfunktion wie andere mikrovaskuläre Komplikationen abhängig von der Dauer der Erkrankung und davon, inwieweit sie unter Kontrolle steht. Diabetes führt zu vorzeitigem Altern. Dies gilt u. U. besonders für Kollagen, glatte Muskulatur und die Funktion von Endothelzellen. Daher reagiert das erektile Gewebe der Corpora cavernosa bei einem seit langem bestehenden Diabetes u. U. besonders schlecht, und das Ansprechen von Diabetikern auf Therapien erster und zweiter Wahl ist oft enttäuschend. Die neurale Integrität kann durch eine Nervenschädigung und die Durchblutung infolge einer Atherosklerose gestört sein. Die Induratio penis plastica ist bei Diabetes häufi g. Der Typ-2-Diabetes vereint die oben genannten Störungen mit erhöhten kardiovaskulären Risikofaktoren und verstärkter Herz- Kreislauf-Erkrankung, und dies erklärt zusammen mit dem Alter die besonders hohe Prävalenz der erektilen Dysfunktion.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Die Verbindung zwischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und erektiler Dysfunktion ist sowohl in ätiologischer als auch in therapeutischer Hinsicht bedeutsam und wird später ausführlicher erörtert. Dazu gehören auch die klassischen Risikofaktoren einer Herz-Kreislauf-Erkrankung (Tab. 3). Die erektile Dysfunktion ist u. U. erstes Anzeichen einer verborgenen Gefäßerkrankung, und bei älteren Männern, die wegen einer ED den Arzt aufsuchen, sollte stets auch eine Beurteilung der kardiovaskulären Gefährdung erfolgen. Die Auswirkungen einer Herz-Kreislauf-Erkrankung und ihrer Risikofaktoren können unmittelbar durch die arteriosklerosebedingt veränderte Durchblutung oder indirekt durch eine gestörte Funktion der Endothelzellen beeinfl usst sein. Eine erektile Dysfunktion tritt oft nach Schlaganfall und Myokardinfarkt auf. Bei vielen dieser Männer gab es möglicherweise schon vorher ein Problem, das nun durch die körperlichen und seelischen Auswirkungen solcher bedeutsamen Ereignisse verstärkt wird. Im Anschluss daran sollte frühzeitig die Frage der Sexualfunktion angesprochen werden und integraler Bestandteil der Rehabilitation sein. Hypertonie geht mit hoher ED-Prävalenz einher. Die Diskussion, inwieweit die erektile Dysfunktion durch die Hypertonie selbst verursacht wird und welchen Anteil Antihypertonika daran haben, ist noch im Gange.
Depression, Angst und andere psychische Störungen
Depression und Angst können zum erektilen Versagen führen, indem sie zentrale Mechanismen und die Libido unterdrücken. Die Auswirkungen variieren individuell und können eine erektile Dysfunktion sowohl verstärkt hervorrufen als auch unterhalten. Auch psychotrope Substanzen sind u. U. von Bedeutung.
Neurologische Erkrankungen
Zwischen einigen neurologischen Erkrankungen und der erektilen Dysfunktion besteht ein ausgeprägter Zusammenhang. Ist die neurale Integrität auf einer wichtigen Ebene gestört, kann es eindeutig zur ED kommen. Beispiele, an denen dies am deutlichsten sichtbar wird, sind Rückenmarksverletzungen und tumoren sowie die multiple Sklerose.
Penisanomalien
Hierzu gehören angeborene oder traumatisch bedingte Erkrankungen, Induratio penis plastica und operative Eingriffe.
Folgen urologischer Eingriffe
Operative Eingriffe, die sich auf die Nerven- oder Blutversorgung des Beckenraums oder des Penis auswirken oder die Corpora cavernosa selbst schädigen, können eine erektile Dysfunktion verursachen. Ähnlich kann sich eine Strahlentherapie auswirken. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Therapie eines Prostatakarzinoms.
Chronische Erkrankungen
Auch andere chronische, zur Behinderung führende Erkrankungen können mit erektiler Dysfunktion einhergehen.
Die Ursachen können sowohl organisch als auch psychisch sein. Zu diesen Krankheiten gehören die chronische Arthritis und die chronische Niereninsuffi zienz. Besonders hoch kann die ED-Prävalenz bei Männern unter Hämodialyse sein, deren Zustand sich nach einer Nierentransplantation u. U. bessert.
Erkrankungen des Endokriniums
Endokrine Krankheiten, vor allem eine Störung der Hypophyse und Hypogonadismus, gehen mit Störungen
der Sexualfunktion einher (Tab. 4). Eine Hyperprolaktinämie und niedrige Testosteronspiegel führen hauptsächlich zum primären Libidoverlust, der sekundär eine erektile Dysfunktion bewirkt.
Medikamente und Drogen
Zahlreiche Medikamente und Drogen sind an der Auslösung einer erektilen Dysfunktion beteiligt. Beispiele zeigt
Tabelle 5. Beim genauen Bestimmen der Ursache einer ED fällt es oft schwer, die relative Bedeutung des Medikaments selbst von den Auswirkungen der Erkrankung zu trennen, gegen die es eingesetzt wird. Ein ausgezeichnetes Beispiel dafür ist die Hypertonie. Das Medikament zu wechseln, lohnt sich wohl nur dann, wenn der Mann sich eines engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Auftreten der erektilen Dysfunktion und der Einnahme eines bestimmten Medikaments sicher ist. Viele Männer werden in dieser Hinsicht selbst schon versucht haben, bestimmte Substanzen abzusetzen. Medikamente bzw. Drogen können diese unerwünschte Wirkung haben, indem sie die
Hormonfunktion oder die für die Erektion erforderlichen zentralen oder peripheren Bahnen beinflussen.
Epidemiologie
Die Prävalenz der einigermaßen ausgeprägten erektilen Dysfunktion in der männlichen Bevölkerung wird auf etwa 10 % geschätzt. Dieser Wert schwankt je nach kulturell akzeptierten Normen und Erwartungen. Früher galt ein Erörtern ihrer Sexualfunktion bei Männern allgemein als ausgeschlossen,und sie litten stumm. Nachdem inzwischen offener über Sexualität gesprochen wird und einschlägige Publikationen erscheinen, sind die Erwartungen gestiegen und werden durch den Bekanntheitsgrad sowie durch Verfügbarkeit und Erfolg moderner Therapien noch erhöht. Es kann daher sein, dass mehr als 4 Mio. Männer in Deutschland an erektiler Dysfunktion leiden. In Großbritannien ergaben Schätzungen anhand des «Impotence Association Survey» (1998), dass 2 bis 3 Millionen Männer deutliche Probleme infolge einer erektilen Dysfunktion haben und nur ein kleiner Teil irgendeine lohnenswerte Behandlung erfahren hatte.1
Mit dem Alter nimmt die Sexualfunktion ab und die Prävalenz der erektilen Dysfunktion (ED) zweifellos zu. Dem Kinsey-Report zufolge lag letztere im Großbritannien des Jahres 1948 bei schätzungsweise 5 % für 40-jährige, 10 % für 60-jährige und 20 % für 70-jährige Männer.2 In jüngerer Zeit ergab die «Massachusetts Male Ageing Study» ähnliche Häufi gkeiten für das komplette Versagen der Erektion von 9,6 % bei Männern von 40 bis 70 Jahren, 5 % bei Männern von 40 Jahren und 15 % bei Männern von 70 Jahren; 25,2 % der Männer im Alter von 40 bis 70 Jahren litten an mäßiger ED und 17,2 % an minimalen Störungen.3 Es spricht auch einiges dafür, dass sexuell stärker aktive Männer im Alter eine bessere Sexualfunktion haben. Natürlich hängt die Sexualfunktion eines Mannes auch von der der Partnerin bzw. des Partners ab, auch wenn Selbstbefriedigung weiterhin ein wichtiges Bedürfnis ist oder zunehmend zu einem solchen wird.
Viele, aber nicht alle Männer brauchen für ihr Selbstvertrauen, ihre Selbstachtung und ihre Lebensqualität eine normale Sexualfunktion. Unter Umständen müssen sie auch sexuell aktiv sein, um ihr Gefühl von Männlichkeit zu behalten. Eine erektile Dysfunktion kann sich daher deutlich auf die Lebensqualität auswirken, was u. U. auch die Partnerin bzw. den Partner beeinträchtigt. Diese negativen Auswirkungen lassen sich durch eine erfolgreiche Therapie beseitigen. Einige negative psychische Auswirkungen der erektilen Dysfunktion sind in Tabelle 5 wiedergegeben. Eine erfolgreiche Behandlung kann das seelische Wohlbefinden bessern.
Tabelle 5: Faktoren bei erektíler Dysfunktion, die sich negativ auf die Lebensqualität von Patient und Partnerin auswirken können.
Inzidenz und Prävalenz der erektilen Dysfunktion steigen auch mit dem Auftreten von Begleiterkrankungen, vor allem solchen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und neurologischen Erkrankungen, sowie nach operativen urologischen Eingriffen und unter bestimmten Medikamenten. Zu den Risikofaktoren gehören u. a. Hypertonie, Rauchen, Dyslipidämie und übermäßiger Alkoholkonsum. Auch allgemeine psychische Probleme sowie Partner- und Beziehungsprobleme sind wichtig.
Ätiologie
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts galt die erektile Dysfunktion als überwiegend psychogenes Leiden und wurde als solches behandelt. Das in der Folge verstärkte Interesse an dieser Thematik von Seiten der Urologen und anderer Spezialisten für organische Erkrankungen sprach dann eher dafür, dass die ED überwiegend auf organische bzw. physische Ursachen zurückzuführen ist. Möglicherweise ist sie Folge einer Kombination psychischer und physischer Ursachen, wobei bei jüngeren Männern (< 40 Jahre) psychische und bei älteren Männern physische Faktoren überwiegen. Einige wichtige Erkrankungen in Verbindung mit einer erektilen Dysfunktion sind in Tabelle 2 wiedergegeben. Die Pathophysiologie wird später beschrieben, grundsätzlich jedoch wird eine Erektion durch einen neurovaskulären Prozess unter zentraler Kontrolle aufgebaut und erhalten. Dieser Prozess erfordert nicht nur die Unversehrtheit der allgemeinen Gefäß- und Nervenbahnen, sondern speziell auch die Fähigkeit der glatten Muskulatur in den Corpora cavernosa des Penis, sich zu entspannen und einen hinreichenden vaskulären Zustrom zu ermöglichen, um eine Erektion zu bewirken, sowie eine genügende Venookklusion, um sie dann auch aufrechtzuerhalten. Jede Erkrankung und jeder ärztliche Eingriff, die diesen Prozess stören, können daher zur erektilen Dysfunktion führen.
Zusammenfassung
Die erektile Dysfunktion ist bei vielen Männern eine häufige und wichtige Störung. Sie ist auch Begleiterscheinung zahlreicher Erkrankungen, und klinisch Tätige sollte sich dieser Zusammenhänge bewusst sein, da sie u. U. nicht unmittelbar aufscheinen und als eigenständige Entität behandelt werden sollten.