Anatomie und Pathophysiologie
Anatomie und Pathophysiologie der erektilen Dysfunktion
Das Wissen über Physiologie und Molekularbiologie der Erektion und der erektilen Dysfunktion hat während der vergangenen 20 Jahre zu deutlichen Fortschritten in der Diagnostik und schließlich auch in der Therapie von Männern mit ED geführt. Laboruntersuchungen im Zuge der Grundlagenforschung haben Licht auf die Anatomie, Physiologie und Pharmakologie des Corpus cavernosum sowie auf die Neuro- und Gefäßphysiologie der Erektionsfunktion geworfen. In ähnlicher Weise wird zurzeit noch der Mechanismus der Erektion und dessen Abhängigkeit vom Nerven-, Arterien- und Venensystem beim Entstehen der Erektionssteife untersucht. Studien zur Physiologie der glatten Muskulatur, zur Endothelzellfunktion sowie zur Kontrolle des ZNS beim Erkennen von Neurotransmittern wie NO und VIP im Corpus cavernosum haben zur Konzeption und Entwicklung sowie zum Einsatz spezifischer Pharmaka zur Wiederherstellung der normalen Physiologie der Corpora cavernosa und der Erektionsfunktion bei vormals als impotent bezeichneten Männern geführt.6, 7
Anatomie des Penis und Erektionsfunktion
Die Anatomie des menschlichen Penis besteht, grob gesprochen, aus einem Paar Gefässzylinder, die als Corpora cavernosa bezeichnet werden (Abb. 1). Diese Zylinder wiederum bestehen aus spongiösem, vaskulärem, glattem Muskelgewebe mit jeweils einer zentral gelegenen A. profunda penis, die das Blut für die Erektion heranführt. Das spongiöse Gewebe ist umgeben von einer dicken, fibrösen Faszie, bekannt als Tunica albuginea. Um diese herum liegt eine dünnere Schicht, die als Fascia penis profunda (Buck’sche Faszie) bezeichnet wird und alle Penisstrukturen umhüllt. Die beiden Corpora cavernosa stehen über ein unvollständiges, hauchdünnes Septum am distalen Penisschaft untereinander in Verbindung.
Um zusätzliche axiale Rigidität zu gewährleisten, enthalten die Corpora cavernosa bindegewebige Verstrebungen. Unterhalb der Corpora cavernosa liegt – umgeben vom Corpus spongiosum – die Urethra. Auch das Corpus spongiosum ist eine vaskuläre Struktur, welche die Glans penis versorgt und für deren Füllung mit Blut sorgt. Diese Struktur erstreckt sich über den frei hängenden Teil des Penis und endet in der Glans penis. Dorsal der Corpora cavernosa liegen die V. dorsalis profunda penis und die Vv. dorsales superfi ciales penis sowie die Nn. dorsales penis. Letztere bilden die sensible Versorgung der Glans penis. Das erektile Gewebe der Corpora cavernosa besteht aus einem Scherengitter vaskulärer Sinusoide, umgeben von trabekulärer glatter Muskulatur. Mikronervenendigungen kontrollieren Kontraktion und Relaxation dieser Strukturen aus glatten Muskelzellen. Die Sinusoide sind von Endothelzellen ausgekleidet.
Gefäßversorgung des Penis
Die arterielle Versorgung des Penis beginnt mit der jeweiligen A. iliaca interna über die Äste der A. pudeda (Abb. 2). Die Aa. pudendae geben jeweils drei Äste an den Penis ab, nämlich die A. dorsalis penis, die A. profunda penis und die A. bulbi penis. Die A. profunda penis ist die für die Erektionsfunktion wichtigste Arterie und zieht jeweils mitten durch das Corpus cavernosum hindurch, wobei sie multiple Äste – Aa. Helicinae genannt – abgibt. Diese wiederum versorgen während der Erektion die Lakunen und Sinusoide.
Der Abfluss des venösen Blutes verläuft von den Sinusoiden über Verbindungsvenen durch die Tunica albuginea hindurch in die V. dorsalis profunda penis und die Vv. bulbi penis, um schließlich im periprostatischen Venenplexus zu enden. Die Vv. dorsales superfi ciales penis versorgen die Haut des Penis und in gewissem Umfang auch die Glans penis.
Nervenversorgung des Penis
Die Erektionsfunktion beginnt im ZNS, dicht am präoptischen Bereich nahe dem Hypothalamus. Viele der Rezeptoren im Gehirn sind hemmender Natur, und ein Überwinden dieser Impulse stimuliert die Erektion. Der primäre Neurotransmitter in diesem Bereich ist möglicherweise das Dopamin in den D2-Rezeptoren. Psychogene Erektionen beginnen mit jeweils höherem sensorischem Input, wie etwa einer taktilen oder audiovisuellen Stimulation oder einer Stimulation sexueller Fantasien in Verbindung mit hormonellem Input. Neurone im Nucleus paragigantocellularis kontrollieren hemmende Impulse aus dem Mittelhirn.
Die spinale Steuerung erfolgt über das autonome Nervensystem. Parasympathische Nerven aus S2 bis S4 kontrollieren primär die Erektionsfunktion, während von Th11 bis L2 ausgehende sympathische Nerven die Ejakulation und Detumeszenz steuern. Diese verbinden sich im Plexus hypogastricus inferior (Plexus pelvicus) zu den Nn. cavernosi penis, die von anterior her zum Rektum und posterolateral zur Prostata sowie über die Peniswurzel in die Corpora cavernosa ziehen. Diese Nerven können bei einer radikalen Prostatektomie oder Kolektomie geschädigt werden. Im Penisgewebe steuern die Nerven über spezifische Neurotransmitter die Relaxation und Kontraktion der glatten Muskulatur in den Lakunen. Der primäre Nerventyp ist nicht-adrenerg/nicht-cholinerg mit Stickstoffmonoxid (NO) als primärem Neurotransmitter. Auch die sensible Funktion des Penis wird von diesen peripheren Nerven gesteuert, da sie sowohl sensible als auch motorische Fasern führen und über einen Reflexbogen im Lumbalmark – bekannt als spinales Erektionszentrum – funktionieren. Bei Männern mit Unterbrechungen des Rückenmarks oberhalb dieses Zentrums lassen sich daher reflektorische Erektionen beobachten.
Hormonelle Steuerung der Erektionsfunktion
Seit langem ist bekannt, dass sexuelle Leistungsfähigkeit und sexuelles Interesse von einer ausreichenden Versorgung mit dem männlichen Hormon Testosteron sowie von einer normalen androgenen Funktion der
Hypophyse, der Hoden und der Nebennieren abhängen. Vertiefte Einblicke in die Rolle des Testosterons haben gezeigt, dass die Präsenz von Testosteronrezeptoren im Gehirn das sexuelle Funktionieren fördert, und dass Testosteron peripher für das volle Funktionieren der Stickoxidsynthase (NOS) in den glatten Muskelzellen der Corpora cavernosa verantwortlich ist.8 Die vom normalen Erwachsenen produzierten Testosteronspiegel gehen vom Hypothalamus aus, welcher GnRH produziert, das wiederum den Hypophysenvorderlappen zur Produktion von LH und FSH anregt. Die beiden letzteren stimulieren unmittelbar die Hoden; LH regt die Leydig- Zellen zur Produktion von Testosteron aus dessen Vorstufe, dem Cholesterin, an. Und das Testosteron sorgt dann für eine Feed-back-Steuerung der Hypophyse und des Hypothalamus. Sowohl LH als auch FSH werden pulsatil sezerniert, und Testosteron wird in einem zirkadianen Rhythmus produziert, bei dem die höchsten Blutspiegel am frühen Morgen und die niedrigsten am Abend erreicht werden. Dieser morgendliche Spitzenwert ist bei jungen Männern am stärksten ausgeprägt und fl acht im Alter ab.
Molekularbiologie der Erektion
Damit eine Erektion eintritt, müssen sich die Aa. profundae penis in den Corpora cavernosa weiten, um den Bluteinstrom in den Penis zu erhöhen. Dieser verstärkte Einstrom sowie die Produktion von NO aus den Nervenendigungen in den glatten Muskelzellen, welche die Lakunen der Corpora cavernosa bilden, führt bei gleichzeitig sinkendem Abflusswiderstand zur Relaxat on der lakunären glatten Muskulatur.6 Nach eingetretener Relaxation der glatten Muskulatur strömt das Blut rasch in die Lakunen ein und erhöht das Volumen der Corpora cavernosa. Die nachfolgende Kompression und Streckung der subtunikal gelegenen Venen, welche das Blut aus den Corpora cavernosa transportieren, wird durch die Volumenzunahme und die Druckerhöhung in den Schwellkörpern verursacht und bewirkt eine Verminderung des venösen Abstroms sowie eine Drucksteigerung innerhalb der Corpora cavernosa. Deren Innendruck wird unterstützt durch die Kontraktion der perinealen Muskeln, wie des M. bulbocavernosus und der Mm. ischiocavernosi, was zu einer steifen, unter hohem Druck stehenden Erektion führt, die für sexuelle Aktivitäten gut ausreicht. Der in dieser starren Säule erzeugte Druck übersteigt den in der Aorta abdominalis. Auf subzellulärer Ebene hängt die Kontrolle der Aktivität glatter Muskelzellen vom intrazellulären Kalziumstrom ab. Neurotransmitter und endotheliale Faktoren beeinfl ussen den intrazellulären Kalziumstrom und stellen dabei ein Gleichgewicht zwischen Erschlaffung und Steife des Penis her.
Neurotransmitter
Die hauptsächlich für die Relaxation der glatten Muskulatur verantwortliche Substanz ist der Neurotransmitter Stickstoffmonoxid (NO).7 Er wird über die Stickoxidsynthase (NOS) aus der Vorstufe LArginin produziert. NO diffundiert dann in die glatten Muskelzellen und aktiviert das sekundäre Neurotransmittersystem Guanylatzyklase, das Guanosintriphosphat in zyklisches Guanosinmonophosphat (cGMP) umwandelt. Dieser sekundäre Neurotransmitter aktiviert das intrazelluläre Natriumpumpensystem, indem er Kaliumkanäle öffnet und eine Abnahme des intrazellulären Kaliums und Kalziums mit entsprechender Erschlaffung der glatten Muskulatur bewirkt.9 Zyklisches Guanosinmonophosphat wird von der Phosphodiesterase Typ 5 (PDE-5) durch enzymatischen Abbau verstoffwechselt. Sind die cGMP-Konzentrationen niedrig genug, kehrt die Kontraktion der glatten Muskulatur durch Schließen von Kaliumkanälen und den Anstieg der intrazellulären Kalziumkonzentration wieder zurück.
VIP und Prostaglandine
Weitere, als Co-Transmitter beteiligte Neurotransmitter sind VIP und Prostaglandine, die ihre Wirkung über den Adenylatzyklase-Weg und dessen sekundären Neurotransmitter, das zyklische Adenosinmonophosphat (cAMP), ausüben.10, 11 Der Erschlaffung der glatten Muskulatur wird gegengesteuert durch Neurotransmitter und Substanzen, die zu einer Kontraktion der glatten Muskulatur führen.12 Diese Wirkstoffe, die sich in einem normalen Corpus cavernosum befinden, können durch einen hohen Sympathikotonus in Verbindung mit körperlichen und seelischen Stressoren noch vermehrt werden. Hauptsächlich ist der Vasokonstriktor Norepinephrin für eine Kontraktion der glatten Muskulatur verantwortlich. Er wird aus den sympathischen Nervenendigungen in den Corpora cavernosa freigesetzt und aktiviert alpha1-adrenerge Rezeptoren, wobei das intrazelluläre Kalzium ansteigt und eine Kontraktion der glatten Muskulatur erfolgt.13 Auch andere Moleküle können an der Kontraktion der glatten Muskulatur beteiligt sein, darunter Endothelin-1, Prostaglandin F2 und Epinephrin. Die Blutspiegel dieser lokalen Neurotransmitter sowie Substanzen im ZNS, die sich pharmakologisch beeinflussen lassen, haben die medikamentöse Behandlung der erektilen Dysfunktion revolutioniert.14
Zusammenfassung
Die Erektion wird hervorgerufen durch ein koordiniertes Zusammenwirken von Neurotransmittern, von denen der wichtigste NO ist, stimuliert durch neurale Übertragung aus dem Mittelhirn über das Rückenmark und periphere Nerven. Das Gewebe der Corpora cavernosa reagiert auf NO mit Erschlaffung der glatten Muskulatur und Erweiterung der Lakunen. Indem sich diese Räume zunehmend mit Blut füllen, wird Druck auf den venösen Abfluss ausgeübt und dieser reduziert. Gleichzeitig kontrahiert sich die Perinealmuskulatur und steigert den Druck im Penis noch weiter, bis er über dem in der Aorta abdominalis liegt. Die Erektion bleibt erhalten, bis die Stimulation nachlässt und das NO zurückgeht, wodurch sich die
glatte Muskulatur wieder kontrahiert und der Penis erschlafft.