Orgasmusarten der Frau
Um diese Frage ein für alle Mal zu klären, veröffentlichten die Sexualwissenschaftler Josephine und Irving Singer 1974 ein Buch mit dem Titel The Goals of Human Sexuality (Deutsch: Die Ziele menschlicher Sexualität), in dem sie viele verschiedene Orgasmus- Erfahrungen von Frauen sammelten. Sie waren es, die erkannten, dass es drei verschiedene Arten des Orgasmus gibt: den klitoralen Orgasmus, den uterinen Orgasmus und eine Mischform dieser beiden.
Klitoraler Orgasmus
Der klitorale Orgasmus auch Vulva-Orgasmus genannt erfordert keine Penetration und erfolgt allein durch die Stimulation der Klitoris. Bei dieser Art des Höhepunktes kann es zu einem Gefühl der Unersättlichkeit, sowie zu multiplen Orgasmen kommen.
Uteriner Orgasmus
Der uterine Orgasmus kann durch tiefe, schnelle Stöße erreicht werden, welche den Muttermund erschüttern. Einen uterinen Orgasmus hat die Betreffende in der Regel nur einmal bei einem sexuellen Akt. Leider erfahren ihn die meisten Frauen nie.
Vaginaler Orgasmus/ G-Punkt-Orgasmus
Der sogennante kombinierte Orgasmus erfolgt durch die Stimulierung des G-Punktes und enthält Gefühlselemente des uterinen und klitoralen Orgasmus. Diese Form nennt man in der Regel vaginalen oder G-Punkt-Orgasmus.
Die verschiedenen Formen des Orgasmus: Übersicht
Die mit dem Myographen erzielten Resultate zeigten, dass Whipple und Perry mit ihrer Theorie, dass bei der sexuellen Reaktion der Frau zwei Nerven eine Rolle spielten, richtig lagen. Dass zwei Nerven die Beckenregion versorgen, bedeutet, dass der Orgasmus von jedem der beiden Nerven oder von beiden zugleich ausgelöst werden kann. Und natürlich gibt es jede Menge Mischformen. Die Schriftstellerin und Sexualwissenschaftlerin Dr. Carol Queen erklärt in meinem Video How to Female Ejaculate: Find Your G-Spot, wie sich diese drei Formen für sie anfühlen und wie sie mit der Ejakulation zusammenhängen:
„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich ejakulierte, während ich mit einem Vibrator die Klitoris stimulierte. Ich nehme einmal an, dass ich damit von außen den Harnröhren Schwellkörper [GPunkt] aktivieren konnte. Manchmal führt dies zur Ejakulation. Stets zur Ejakulation komme ich, wenn ich etwas in der Vagina habe, was meinen G-Punkt berührt, wie meine Finger, einen Dildo oder einen Penis. Der G-Punkt-Orgasmus kommt mir vor wie ein klitoraler und vaginaler Orgasmus zugleich, als würden die beiden sich vermischen. Der uterine Orgasmus fühlt sich anders an. Meist kommt es dazu, wenn ich mit jemandem innig verbunden bin und tantrische Übungen mache, die meine Verbindung zum Partner stärken. Dann spielt sozusagen mein ganzer Körper mit und geht in Wellen der Lust über, bis mein Uterus sich zusammenzieht.“
Dr. Queen ist der Ansicht: Je mehr man masturbiert, desto unterschiedlichere Dinge findet man für sich selbst heraus. Daher spreche ich immer von meinem orgastischen Repertoire, weil ich weiß, dass ich verschiedene Formen des Orgasmus erfahren kann.
Alle Frauen haben die anatomischen Voraussetzungen, um zu ejakulieren
Wie dieses Kapitel gezeigt hat, kommt die Mehrheit der Frauen (wie die Mehrheit der Männer) mit einem Geschlechtsorgan zur Welt, das sich nach der Adoleszenz für die Fortpflanzung ebenso eignet wie für die sexuelle Lust. Das weibliche Geschlechtsorgan verfügt über weit mehr erektiles Gewebe, als man früher dachte, und über eine Prostata, die zur Ejakulation fähig ist. (In diesem Buch gehen wir davon aus, dass es aus Vulva, Vagina, Klitoris, Harnröhre, Prostata, Beckenmuskeln und -nerven sowie erektilem Gewebe besteht.) In Größe und Funktion ähnelt es dem männlichen Geschlechtsorgan, obwohl die einzelnen Bestandteile unterschiedlich angeordnet sind. (In diesem Buch gehen wir davon aus, dass das männliche Geschlechtsorgan aus Penis, Hoden und Hodensack, Harnröhre, Prostata, Beckenmuskeln und -nerven sowie erektilem Gewebe besteht.)
Die Muskeln, die das weibliche Geschlechtsorgan stützen, müssen gesund und fit sein. Die Nerven, die für seine Belebung sorgen, sind jederzeit bereit, unserem sexuellen Erleben und unserer emotionalen Erfahrung eine größere Bandbreite und mehr Tiefe zu schenken, als wir einst für möglich hielten. Darüber hinaus haben wir erfahren, dass der frühere Informationsmangel über die weibliche Prostata sowie über die Natur und Ausdehnung des weiblichen Geschlechtsorgans mitunter gravierende Probleme verursacht hat. So sind die chronisch unterentwickelten oder angespannten Muskeln für einige ernsthafte gynäkologische Probleme verantwortlich. Wie wir sehen konnten, ist die Tatsache, dass Frauen eine Prostata besitzen, keineswegs allgemein bekannt. Hier finden Sie eine Übersicht der Voraussetzungen für die Ejakulation.
Dies führte dazu, dass dieser Quell sexueller Lust häufig übersehen wurde. Die Vagina wurde als empfindungslos betrachtet, die Klitoris überbewertet und die einzige Funktion, die man der Harnröhre zugestand, war jene, dass sie Klitoris und Vagina voneinander trennte. Mittlerweile ist allerdings klar, dass die Harnröhre das Herz des weiblichen Geschlechtsorgans darstellt da an ihr der G-Punkt liegt. Zahlreiche wissenschaftliche und persönliche Entdeckungen haben während der letzten zwanzig Jahre dazu beigetragen, die Geheimnisse der weiblichen Ejakulation zu entschlüsseln. Jede einzelne davon war ein Schlag ins Gesicht der lang gehegten Illusionen unserer Kultur. Im nächsten Kapitel werden wir uns daher der Frage zuwenden, wie andere Kulturen mit dem Phänomen der weiblichen Ejakulation umgegangen sind. Wir werden erfahren, wie sie gefeiert wurde, und so unsere weiblichen Wasser wirklich schätzen lernen.
Geschichte des Orgasmus
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts stellte Freud die These auf, dass die Quelle einer reifen Orgasmus Reaktion die Vagina sei. Seiner Ansicht nach gehört der klitorale Orgasmus in die Zeit der Adoleszenz und ist kein Ausdruck sexueller Reife. Dieser Grundsatz hielt sich in der wissenschaftlichen Literatur etwa fünfzig Jahre lang, bis der Sexualwissenschaftler Alfred Kinsey die Theorie auf den Kopf stellte. Er führte in den 1950er Jahren eine berühmt gewordene Untersuchung durch, in der er seinerseits behauptete, es gebe nur eine einzige Quelle für den Orgasmus der Frau und das sei die Klitoris. Sein Argument war, dass in der Vagina keine Nervenenden verliefen, sie im Hinblick auf die Lust also toter, leerer Raum sei. Ihre einzige Funktion sah Kinsey darin, dass sie Penis und Sperma als Gefäß diene.
Die Anhänger von Freud und Kinsey streiten sich bis heute, wo die Quelle des weiblichen Orgasmus zu suchen sei. Dabei sind die Anhänger des vaginalen Orgasmus ein wenig ins Hintertreffen geraten. Die Vorstellung von einem zusammenhängenden weiblichen Geschlechtsorgan, wie Josephine Lowndes Sevely sie anbietet, macht diese Debatte über das wahre Zentrum weiblicher Sexualität überflüssig. Wie sich herausgestellt hat, sind sowohl Klitoris als auch Vagina Teil eines größeren Ganzen. Kinseys Thesen stifteten unter Sexualwissenschaftlern, Feministinnen, Männern und Frauen Verwirrung darüber, was ein Orgasmus eigentlich genau ist. Viele Frauen mussten feststellen, dass ihre persönlichen Erfahrungen nicht zu den objektiven Beobachtungen und Definitionen eines Orgasmus passten, wie Kinsey und vor allem Masters und Johnson sie aufgestellt hatten.
Sexuelle Revolution
Natürlich erlebten viele Feministinnen Kinseys Untersuchung auch als Befreiung. Frauen waren nicht länger vom sexuellen Akt abhängig, wenn sie einen Orgasmus bekommen wollten. Als Folge der bestürzenden Erkenntnis, dass der Großteil der Frauen mit ihren Partnern keinen Orgasmus erlebte, zogen Feministinnen auf die Straßen, schwenkten ihre Vibratoren (und verbrannten ihre BHs). In den 1960er und 1970er Jahren gingen Frauen auf Entdeckungsreise, um die weißen Flecken auf der Landkarte der Masturbation und des klitoralen Orgasmus endlich auszufüllen. Es kam zur letzten sexuellen Revolution des 20. Jahrhunderts: Angeführt von Feministinnen wie Betty Dodson, Autorin von Sex for one, oder Del Williams und Joani Blank, die die ersten Sexshops und Versandfirmen (Eves Garden und Good Vibrations) gründeten, die Sexspielzeug für Frauen vertrieben, lernten Frauen, ihre sexuelle Selbstbestimmung einzufordern.
Enthüllung der Klitoris
Mit der Enthüllung der Bedeutung der Klitoris sank die Zahl jener Frauen, die noch nie einen Orgasmus erlebt hatten, drastisch. Doch einige Frauen reagierten nicht auf die Stimulierung der Klitoris oder hatten ganz einfach nie einen klitoralen Orgasmus bei der sexuellen Vereinigung. Dass man sich nach den Kinseyschen Entdeckungen ausschließlich auf die Klitoris konzentrierte, verschärfte das Problem noch. Es gab sogar Sexualwissenschaftler, die meinten, die Frau sei vielleicht für den Orgasmus während des Akts überhaupt nicht geschaffen. Helen Kaplan beschreibt eine solche Reaktion in ihrem Buch The New Sex Therapy (1974). Jene Frauen, die sich an Kinseys Definition des Orgasmus störten, fanden, dass etwas fehlte. Diese Frauen waren während der Penetration zum Höhepunkt gekommen und plötzlich sagte man ihnen, dass dieser Höhepunkt unerreichbar, ja unmöglich sei. Vierzig Jahre lang wurden ihre Bedenken von den Lustschreien erregter Frauen übertönt, die dank der Klitoris und eines Heeres batteriebetriebener Assistenten zum ersten Mal einen Orgasmus hatten. Einige von ihnen ergriffen tapfer das Wort. Zu ihnen gehörte Doris Lessing, die in Das Goldene Notizbuch einen vaginalen Orgasmus beschreibt:
Ein vaginaler Orgasmus ist Gefühl und nichts anderes, er wird erlebt als Gefühl und ausgedrückt in Empfindungen, die von Gefühl ununterscheidbar sind. Der vaginale Orgasmus ist ein Sich-Auflösen in einem unbestimmten dunklen, allgemeinen Empfinden, so als würde man in einem Strudel herumgewirbelt. (Das Goldene Notizbuch, S. 277)
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